93-jährige Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano an den Gewerblichen Schulen
Unermüdlich gegen das Vergessen
Interview: Zeitzeugin Esther Bejarano und ihre späte Rache an den Nazis
Wenn Esther Bejarano bei ihren Auftritten aus ihren Erinnerungen liest, dann ist es still im Saal. Die Zuhörer sind von dem Schicksal der Ausschwitz-Überlebenden zumeist tief bewegt (Foto: Maage)
Sie hat die Hölle von Auschwitz überlebt.
Esther Bejarano spielte im Mädchenorchester des Konzentrationslagers. Die Musik hat sie vor der Gaskammer bewahrt.
Sie spielte, wenn die Insassen des Lagers zur Zwangsarbeit ausmarschierten; sie spielte, wenn die geschundenen Menschen zurückkamen; sie spielte, wenn die Züge sie ins Gas fuhren. Esther Bejarano hat schreckliche Dinge erlebt. Davon zu erzählen, das ist ihre Mission. „So etwas darf nie mehr passieren“, sagt sie. Sie spricht und singt gegen das Vergessen.Ihre Auftritte versteht sie als späten Rachefeldzug gegen die Nazis. Wir trafen die 93-Jährige im Anschluss an einen Auftritt mit ihrer Band, der „Microphone Mafia“, in den Gewerblichen Schulen in Dillenburg. Gemeinsam mit dem Rapper Kutlu Yurtseven und ihrem Sohn Joram stand Bejarano auf der Bühne. Zuvor hätte man bei der Lesung aus ihren Erinnerungen eine Stecknadel fallen hören können.
Frau Bejarano, Sie haben im Mädchenorchester von Auschwitz gespielt. Nach den Erlebnissen von damals – wie kommt es, dass Sie die Lust am Musikmachen nicht verloren haben?
Esther Bejarano: Weil Musik mein Leben ist. Ich bin schon als Kind dazu erzogen worden. Mein Eltern waren sehr musikalisch. Ich muss Musik machen, weil ich meine Musik benutze, um den Menschen beizubringen, was wir heute wieder haben: diese ganzen rechtslastigen Parteien. Wenn ich das sehe, muss ich doch irgend etwas dagegen tun. Und das kann ich natürlich mit Musik viel besser machen als mit allem anderen. Darum bin ich in die Rap-Gruppe hineingegangen, weil ich gedacht habe, das ist momentan irgendwie modern. Die Jugend liebt den Rap. Nun sind wir seit zehn Jahren zusammen.
Sie sind 93 Jahre alt. Wie viele Auftritte pro Jahr haben Sie?
Bejarano: Wir geben zwischen 60 und 80 Konzerte im Jahr. Aber es gibt auch Jahre, in denen wir 90 spielen.
Sie treten hauptsächlich in Schulen auf. Warum?
Bejarano: Ja, weil ich möchte, dass die Schüler endlich mal wissen, was wirklich damals geschah. Die wissen das nicht. Großeltern der Schüler, die in der Nazizeit mitgemacht haben, erzählen nichts. Die jungen Leute müssen das einmal wissen. Ich kriege so ein Feedback von den Schülern. Ich bekomme ganz, ganz viele Briefe von Schülern, die sich bei mir bedanken, die mir schreiben, dass sie das alles überhaupt nicht gewusst haben, und die sich das überhaupt nicht vorstellen können. Wenn ich in die Schulen komme und ihnen das erzähle, dann sind sie natürlich sehr betroffen.
Glauben Sie, dass Sie mit ihrer Musik und ihren Lesungen die Welt ein wenig verbessern können?
Bejarano: Natürlich kann man mit Musik die Welt verbessern. Aber nicht nur mit Musik. Jeder Einzelne muss wissen, was er zu tun hat, zum Beispiel gegen diese rechtslastigen Parteien. Wenn ich höre, dass Leute sagen, die AfD bringt wieder Ordnung nach Deutschland – ja, wollen die die NSDAP wiederhaben? Ob das nun die NPD, Pegida oder die AfD ist – dagegen muss ich etwas tun. Wenn es so etwas wieder gibt, dann muss sich jeder einzelne fragen: „Will ich das oder will ich das nicht?“ Wir leben in einer Demokratie. Alle diese rechtslastigen Parteien, die wollen das kaputtmachen.
Wie lange wollen Sie noch durch die Welt reisen, um von den Gräueltaten der Nazis zu berichten?
Bejarano: Ich höre niemals auf. Es sei denn, ich sterbe. Ich kann nicht aufhören. Und warum? Weil es eben sehr, sehr wichtig ist. Die Menschen haben aus der Geschichte nicht viel gelernt. Außerdem ist es doch so, dass nach 1945 geschwiegen wurde. Die Leute haben auch vor 1945 geschwiegen, haben alles mit sich machen lassen, haben nicht protestiert, wenn die Juden umgebracht wurden, die Sinti und Roma umgebracht wurden, ganz viele politische Gefangene umgebracht wurden. Da haben die alle geschwiegen.
Bei all dem Leid, das Sie gesehen und am eignen Leib erfahren haben – was ist das schlimmste Erlebnis, an das Sie sich erinnern?
Bejarano: Das Schlimmste, dass ich erlebt habe in Auschwitz, das ist, als ich dort stehen und Musik machen musste. Nicht nur ich, sondern das ganze Orchester. Wie kann man in einem Vernichtungslager ein Orchester haben? Daran sieht man schon, wes Geistes Kind diese Leute waren. Das war für mich das Schlimmste, das ich erlebt habe. Aus dem einfachen Grund, weil ich nichts dagegen tun konnte. Wenn ich geschrien hätte: „Geht raus aus dem Zug, „hr werdet alle vergast!“, dann wäre ich tot gewesen. Hinter mir stand die SS mit ihren Gewehren. Außerdem hätte das auch nichts geholfen. Das ist eben das Schlimme – dass man nichts dagegen tun konnte. Bis heute denke ich daran. Bis heute sage ich, das war das Schlimmste, das mir widerfahren ist. Trotzdem habe ich in Auschwitz und Ravensbrück immer wieder gesagt, ich werde nicht aufgeben. Ich habe auch meinen Freundinnen gesagt: „Ihr dürft nicht aufgeben.“ Trotzdem gab es Freundinnen, die das nicht aushalten konnten, die ganzen schrecklichen Dinge, die man mit uns gemacht hat. Einige meiner Freundinnen haben sich einfach das Leben genommen, indem sie in den Stacheldraht gelaufen sind, der mit Strom geladen war. Die waren dann sofort tot. Wir kamen raus aus den Baracken und sahen die Frauen, die dort hingen. Das kann man sich nicht vorstellen.
Nach all diesen Erlebnissen – wovor haben Sie heute Angst?
Bejarano: Heute, heute müssen wir alle zusammenstehen. Heute müssen wir sehen, dass wir die Demokratie bewahren gegen alle diejenigen, die gegen uns sind. Da müssen wir stark sein und alle zusammen dagegen etwas tun.
Sie haben also Angst, dass sich die Geschichte wiederholt?
Bejarano: Natürlich. Es gibt ja auch Parallelen zur damaligen Zeit. In Frankreich beispielsweise, da gibt es eine Zeitschrift, die bringt Karikaturen gegen die Moslems heraus. Diesmal geht es nicht gegen die Juden, sondern gegen die Moslems. Genau das Gleiche haben wir damals gehabt. Das war der „Stürmer“. Der hat solche Karikaturen herausgebracht, und dadurch ist der Antisemitismus noch größer geworden. Das ist nur eins von den Dingen, die heute wieder passieren. Und es gibt ganz viele rechtslastige, kleine Gruppen. Da gibt es junge Leute, die wollen das Dritte Reich wiederhaben. Völlig idiotisch, weil sie die Geschichte nicht kennen, weil sie sich nichts darunter vorstellen können.
Sie treten selbst mit Rappern auf. Was sagen Sie zu Künstlern wie Kollegah und Farid Bang, die Zeilen rappen wie „Mache ’mal wieder ’nen Holocaust, komm’ an mit dem Molotow“ und dafür noch einen Echo-Musikpreis bekommen?
Bejarano: Ich finde, das ist eine Sauerei, dass die den Preis bekommen haben. Aber ich habe gehört, dass einige, die diesen Preis bekommen haben, ihn zurückgegeben haben. Ich werde mich nicht auf dieses Niveau herunterbegeben, aber ich finde das einfach schäbig und schlimm, was die da gesagt haben.
Quelle: mittelhessen.de
Zur Person: Esther Bejarano
Esther Bejarano wird als Tochter eines Oberkantors 1924 in Saarlouis geboren. Der Vater weckt ihr Interesse für Musik. Esther lernt Klavier. Ihre Eltern werden 1941 in Litauen von den Nazis ermordet, ihre Schwester 1942 in Auschwitz. Am 20. April 1943 wird die junge Frau nach Auschwitz deportiert. Auf ihren Arm wird die Nummer 41948 tätowiert. „Namen hatten ausgedient“, sagt sie.
Als das Mädchenorchester gegründet wird, meldet sie sich als Akkordeonspielerin, obwohl sie das „Schifferklavier“ gar nicht beherrscht. Irgendwie schafft sie es, das Instrument passabel zu spielen. Das Akkordeon wird zum Lebensretter.
Esther wird weiter ins KZ Ravensbrück verschleppt. Zum Ende des Krieges wird das Lager geräumt. Auf einem der berüchtigten Todesmärsche kann sie mit ihren Freundinnen fliehen. Die Befreiung erlebt sie am 3. Mai 1945 in Lübz.
(Quelle: Wikipedia)