Fabrik mit Fitnesszone - die Gewerblichen Schulen in "Ampere" - dem Magazin der Elektroindustrie
Ein Bericht von von Laurin Paschek in Ampere, Ausgabe 1.2020
An den Gewerblichen Schulen Dillenburg reden die Lehrer nicht nur von Industrie 4.0, sie arbeiten mit ihren Schülern auch an einer realen Fertigungslinie, der „Cyber-Physical Factory“. Studiendirektor Burkhard Schneider beschreibt die Produktion der Zukunft, auf die er seine Schüler vorbereitet
Wenn ich an die Fabrik der Zukunft denke, dann sehe ich keine menschenleeren Fabrikhallen. Die Menschen, die in den Fabriken arbeiten, werden mit den Maschinen kommunizieren und die Prozesse steuern. Wenn unsere jungen Schüler von heute mitten im Berufsleben stehen, werden sie kaum noch monotone oder ergonomisch ungünstige Tätigkeiten ausüben müssen. Ihre Jobs werden qualitativ hochwertiger sein, weil sie ein komplexeres Fachwissen anwenden, und abwechslungsreicher, weil sie den Fertigungs prozess ganzheitlich verstehen und unterstützen.Wie das genau aussehen kann? Nehmen wir mal an, dass in der Produktion eine Störung gemeldet wird. Die Mitarbeiter in der Fabrik müssen diese Störung verstehen und beseitigen können, und nur in besonders schwierigen Fällen werden sie die Instandhalter hinzuziehen. Damit übernehmen sie eine größere Verantwortung für den Prozess, ihre Arbeit wird erfüllender und sinnstifender. Sie stellen sich der Herausforderung und wissen, was ihre Arbeit zum Gesamten beiträgt. All dem wird ein großer Transformationsprozess vorausgehen. Die Mitarbeiter müssen sich auf ihre neue Rolle einlassen. Das setzt nicht nur ständige Weiterbildung und lebenslanges Lernen voraus, wie wir es an den Gewerblichen Schulen schon heute anbieten – mit Schülern und Studierenden in einer Altersspanne von 14 bis 50 Jahren und teils darüber. Die Veränderung wird auch Ängste hervorrufen, die wir ernst nehmen müssen, die Verantwortlichen in den Betrieben genauso wie die Lehrkräfte in den Bildungseinrichtungen. Wir müssen deutlich machen, dass die Arbeit an den Anlagen und Maschinen ein Beleg dafür ist, dass die Menschen auch weiterhin gebraucht werden. Und wir müssen die Mitarbeiter und Führungskräfte davon überzeugen, dass Expertentum letzten Endes der beste Garant für einen sicheren Job ist.Auch die Arbeitswelten selbst werden sich verändern. In unserer Schule haben wir im Neubautrakt Kommunikationszonen eingerichtet, mit Stehtischen, Sitzecken und offenen Lernzonen, damit die Schüler einen Raum für kreativen Austausch haben. Auch in der Fabrik der Zukunft muss es solche Räume geben – denn wenn die Arbeit anspruchsvoller und teamorientierter wird, dann benötigen die Mitarbeiter auch Räume für eine inspirierende Zusammenarbeit. Das können Kommunikationszonen mit Sofaecken sein, Lernbereiche mit Whiteboards, aber auch Ruhezonen. Warum sollte nicht auch in einer Fabrik ein Tischkicker stehen? Moderne Arbeitswelten können auch bedeuten, dass in der Produktionshalle ein Fitness-Studio oder eine Massagepraxis eingerichtet wird. Und nicht immer muss der Fabrikarbeiter auch tatsächlich in die Fabrik kommen – er oder sie kann auch Bereitschaftsdienste oder andere Tätigkeiten von zu Hause aus erledigen.Hinter all dem steckt die Erkenntnis, dass jeder auf den anderen angewiesen ist. Ohne das Wissen der anderen anzunehmen, kommt der einzelne Experte in einer hoch komplexen und hochgradig vernetzten Industrie 4.0 nicht wirklich weiter. In unserer Schule bilden wir gemeinsam mit den Betrieben junge Menschen in den Bereichen IT-Technik, Elektrotechnik und Metalltechnik aus. Im Anschluss daran kann eine Weiterbildung zum Staatlich geprüften Techniker erfolgen. Unser Ziel ist, die Auszubildenden und Studierenden auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten und ihnen zu verdeutlichen, dass nicht jeder dafür unbedingt an einer Hochschule studieren muss. Die Industrie-4.0-Experten von morgen können diese Welt auch als Facharbeiter mit einer guten Berufsausbildung und anschließender Fort- und Weiterbildung gestalten. Damit das alles keine graue Theorie bleibt, haben wir mit Unterstützung der Industrie, der IHK und des Fördervereins an den Gewerblichen Schulen Dillenburg eine Lernfabrik eingerichtet. Die „Cyber-Physical Factory“ ist eine Aufforderung zum Mitmachen und veranschaulicht den Schülern die praktische Umsetzung der digitalen Produktion. Als Anwendungsbeispiel haben wir die Montage eines Smartphones gewählt, um möglichst nah an der Lebenswirklichkeit unserer Schüler zu bleiben. In einem durch ein Manufacturing Execution System (MES) vollständig digital gesteuerten Prozess werden Handyschalen aus einem Hochregallager entnommen, ein Bohrvorgang simuliert, eine Platine und Sicherungen von einem Sechs-Achs-Roboter montiert, die Schalen zusammengefügt und schließlich ins Hochregal lager zurückgelegt. Unsere Schüler können diesen Vorgang am Computer individualisieren und erfahren damit Industrie 4.0 ganz real. Wie könnte man sie besser auf den Fabrikarbeitsplatz der Zukunft vorbereiten? „Expertentum ist der beste Garant für einen sicheren Job.”
Burkhard Schneider, 51, ist Studiendirektor und Mitglied der Schulleitung an den Gewerblichen Schulen Dillenburg im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker absolvierte er sein Abitur an einem Abendgymnasium und arbeitete mehrere Jahre als Facharbeiter, bevor er ein Lehramtsstudium in den Fachbereichen Maschinentechnik und Fertigungstechnik zum Abschluss brachte. In Dillenburg lehrt er seit 20 Jahren und leitet an den Gewerblichen Schulen das neue Kompetenzzentrum Industrie 4.0. Die Lernfabrik „Cyber-Physical Factory”, die im Oktober 2018 in Betrieb genommen wurde und die von Unternehmen wie Rittal unterstützt wird, ist Teil dieses Kompetenzzentrums