Schulstart mit ganz vielen Fragen
Für 6700 der über 30 000 Schüler im Lahn-Dill-Kreis beginnt am Montag wieder der Unterricht – mit Vorsicht vor dem Coronavirus
Ein Bericht von Jörgen Linker, Redakteur in Dillenburg auf mittelhessen.de
"Jeder Schüler soll mindestens 1,50 Meter Abstand zu einem anderen Schüler einhalten", so das Staatliche Schulamt. In den Klassenzimmern im Lahn-Dill-Kreis sollen deshalb ab Montag maximal zehn bis 15 Schüler unterrichtet werden. Archivfoto: dpa
WETZLAR/DILLENBURG - Nächsten Montag beginnt für rund 6700 der insgesamt über 30 000 Schüler im Lahn-Dill-Kreis wieder der Schulalltag, also der Unterricht in den Schulgebäuden. Aber es wird anders. Während der Corona-Pandemie gibt es Vorgaben und Empfehlungen.
Welche Schüler müssen wieder in die Schule?
Betroffen von dem Schulstart sind nach Angaben des für den Lahn-Dill-Kreis zuständigen Staatlichen Schulamtes in Weilburg folgende Jahrgänge: die vierten Klassen an den Grundschulen, die neunten Abschlussklassen an den Hauptschulen, die zehnten Abschlussklassen an den Haupt- und Realschulen, die Abschlussklassen an den Berufsschulen sowie die zwölften Klassen an den Gymnasien. Die 13. Klassen an den Gymnasien haben ihre schriftlichen Abiturprüfungen bereits abgelegt, für sie stehen nur noch die mündlichen Prüfungen an. Schulamtssprecher Dirk Fredl: Ab dem 11. Mai könne es entweder bei diesem Stand bleiben oder der Unterricht auf weitere Klassen ausgeweitet werden - das hänge von der Entwicklung der Pandemie ab.
Was ist mit den Kombiklassen im Lahn-Dill-Kreis?
Im Lahn-Dill-Kreis gibt es an einigen kleinen Schulen auch sogenannte Kombiklassen, hier werden Dritt- und Viertklässler gemeinsam unterrichtet. Schulamtssprecher Fredl sagt: "Explizit müssen erstmal nur die Viertklässler wieder zur Schule." Für die Drittklässler in den Kombiklassen bleibt es also beim Unterricht zu Hause.
Was ist mit Schülern, die zu einer Risikogruppe gehören?
"Für sie gibt es keine Präsenzpflicht"", sagt Fredl. Schüler, die also beispielsweise an Lungen- oder Herz-Kreislauferkrankungen leiden, können nach wie vor am Home-Schooling, also am Unterricht daheim, teilnehmen.
Was ist mit Lehrern, die zur Risikogruppe gehören?
Für schwangere und stillende Lehrerinnen sowie für über 60-jährige und sonstige Lehrer aus der Risikogruppe gilt laut Schulamt ebenso: Sie seien nicht verpflichtet, Präsenzunterricht an Schulen zu leisten. Einige Lehrer wollte es dennoch, sie dürften es freiwillig. Wer nicht in der Schule unterrichte, könne zum Beispiel Gruppen im Home-Schooling übernehmen oder Korrekturen von Prüfungen. Das entschieden aber die Schulen vor Ort. Da gebe es keine Vorgaben.
Wie groß dürfen die Klassen sein?
"Jeder Schüler soll mindestens 1,50 Meter Abstand zu einem anderen Schüler einhalten", sagt Fredl. Hessenweit sei aber festgelegt, dass maximal 15 Schüler in einem Klassenraum unterrichtet werden sollen. Im Lahn-Dill-Kreis plant die Kreisverwaltung mit zehn bis 15 Schülern pro Klassenzimmer.
Müssen die Schüler in den Schulen Schutzmasken tragen?
"In Schulen ist es keine Verpflichtung", sagt Schulamtssprecher Dirk Fredl. Der Schulträger, also der Lahn-Dill-Kreis, empfiehlt jedoch "dringend", "während des öffentlichen wie privaten Schülertransports sowie in den Pausen und auf dem Schulhof eine Mund-Nasen-Bedeckung".
Wie wird die Hygiene in den Schulen gewährleistet?
Das sei Aufgabe der Kreise als Schulträger, berichtet der Schulamtssprecher. Sie müssten für Seife und Papierhandtücher sorgen und, wo keine Waschgelegenheit bestehe, für Desinfektionsmittel. Nach den Rückmeldungen, die er bislang erhalten habe, so Fredl, "sollten die Schulen ausreichend ausgestattet sein".
Die Kreisverwaltung des Lahn-Dill-Kreises teilt mit: In den Schulen würden Abstandsmarkierungen auf den Böden angebracht, insbesondere wo "mit vermehrten Menschenaufkommen" gerechnet werden könne, zum Beispiel vor den Sekretariaten, Bibliotheken und Klassenräumen. In den Sanitärbereichen würden vom Lahn-Dill-Kreis Seife, Papierhandtücher und Toilettenpapier zur Verfügung gestellt. Die Sekretariate würden mit einer Glasbarriere versehen, Schutzvorrichtungen gebe es auch in den Schulmediotheken. Die Schulen würden täglich in allen Bereichen gereinigt. Sporthallen, Spielplätze, Sportanlagen und Sportfelder blieben gesperrt. Der Mensa- oder Kiosk-Betrieb könne aufgrund der Hygienebestimmungen derzeit nicht gewährleistet werden.
Worauf müssen Schulen noch achten?
In den Schulen gibt es laut Schulamt ganz viel zu organisieren: von der Toilettennutzung bis zum Pausenverhalten - das also nicht alle Schüler gleichzeitig in der Pause sind und sich dort drängen. Das Gleiche gilt für die Bushaltestellen an den Schulen. Auch dort sollten möglichst nicht alle Schüler zusammenstehen. "Das ist in den Schulen mitgeteilt worden", sagt Schulamtssprecher Fredl. Sie sollten die Voraussetzungen dafür schaffen und Konzepte vorlegen, damit sich Schüler vor und nach dem Unterricht nicht auf engstem Raumballen.
Gibt es Vorgaben für die Fahrt mit den Schulbussen?
Schulamtssprecher Dirk Fredl: "Die Schulbusse fahren ab nächster Woche wieder regulär, nicht mehr nach dem Ferienfahrplan." Und in den Bussen gelte die Aufforderung, Abstand zu halten, sowie die Empfehlung, Masken zu tragen. Allerdings dürfte es laut Fredl in den Schulbussen nicht eng werden, denn es sei nur ein geringer Anteil der Schüler unterwegs, die sonst die Busse nutzten.
Können Schüler sitzenbleiben?
Nein. "Alle Schüler werden versetzt", sagt der Schulamtssprecher. Denn schlechteren Schülern sei während der Corona-Krise die Chance genommen, sich im regulären Unterricht zu verbessern und bessere Noten zu erlangen. Trotzdem werde es bei einigen Schülern Empfehlungen geben, das Schuljahr zu wiederholen.
Wann finden die Prüfungen der Abschlussklassen statt?
Abgesehen von den Abiturprüfungen, die bereits stattgefunden haben, werden die Prüfungen auf spätere Termine verschoben. Der Schulamtssprecher nennt die neuen Termine: für Haupt- und Realschüler vom 25. bis 29. Mai, für Fachoberschulen vom 14. bis 19. Mai. Für andere Berufsschulzweige würden die Termine schulintern festgelegt.
Wie bereiten sich Schulen vor?
Der Leiter der Grundschule in Haiger, Guido Ax, berichtet: Seine Schule unterrichte rund 80 Viertklässler, normalerweise in vier Klassen. Nun würden die Klassen aufgespalten und acht Gruppen gebildet. Für jede Klasse sei ein Dreier-Team aus Lehrern zuständig, der Unterricht für die Grundschüler bleibe zunächst auf die Kernfächer beschränkt. Weil erste, zweite und dritte Klassen noch nicht wieder in die Schule müssen, "haben wir genügend Räume und Personal", sagt Ax. Was ihm aber Sorge bereitet, sind die Begegnungen der Schüler während der Pausen. Denn Schule sei auch ein Ort des Austausches. Schulleiter Ax: "Deshalb lautet unsere Empfehlung: Masken tragen während der Pausen, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren." Allerdings fehle es an der Ausstattung mit Masken. Eigentlich sei es eine Aufgabe des Schulträgers, also der Kreisverwaltung, diese zur Verfügung zu stellen. So aber habe die Schulleitung die Eltern gebeten, ihren Kindern Masken zu besorgen oder zu nähen und sie auch immer wieder zu desinfizieren. Für den Notfall habe die Schule aber auch einige Einwegmasken besorgt.
Unterdessen haben Lehrerinnen der August-Bebel-Schule in Wetzlar während der Osterferien zu Hause Mund- und Nasenschutz genäht. Diese sollen für je 3 Euro an die eigenen Schüler verkauf und die Einnahmen einem sozialen Zweck gespendet werden.
Wie sehen die Schüler den geplanten Schulstart am Montag, was sagt der Kreis-Schülerrat?
Sechs Mitglieder des Kreis-Schülerrates sowie zwei Verbindungslehrer haben am Montagabend in einer Videokonferenz über den geplanten Schulstart in der nächsten Woche beraten. Kreis-Schulsprecher Jan-Luis Kramer aus Beilstein, Elftklässler am Herborner Johanneum, sagt: "Wir befürworten, dass der Schulalltag wieder kommt. Die meisten Schüler wollen gerne wieder in die Schule, auch wegen der sozialen Kontakte. Es kann aber nur funktionieren, wenn alle Sicherheitsvorschriften eingehalten werden."
Die Schülervertretung sei außerdem für eine Maskenpflicht. Schüler, die Masken hätten, sollten sie auf jeden Fall in der Schule auch nutzen. Und der Rat fordert: Desinfektionsspender sollten Standard sein. Kramer spricht zudem "eine große Bitte" an Schüler und Lehrer aus, auch in den Pausen den Sicherheitsabstand einzuhalten.
"Was uns noch wichtig ist: Schüler aus Risikogruppen, zum Beispiel mit Asthma, sollten nicht verpflichtet sein, physisch am Unterricht in der Schule teilzunehmen, sondern weiter zu Hause unterrichtet werden können."
Normalerweise finde der Schülerrat immer Gehör bei der Kreisverwaltung, zum Beispiel, wenn es um die Digitalisierung an Schulen gehe, in dieser Situation sei die Schülervertretung aber nicht gefragt worden, berichtet Verbindungslehrer Michael Nazarenus.
Wie äußert sich die Lehrergewerkschaft GEW?
Folker Albrecht von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Dill erklärt: "Unserer Einschätzung nach hätten sich die Schulen einen späteren Zeitpunkt für eine Öffnung gewünscht, um besser planen zu können." Der Klärungsbedarf sei sehr hoch und eine Vielzahl von Entscheidungen seien auf die Schulen verschoben worden und müssten jetzt vor Ort gelöst werden, weil die Maßgaben des Ministeriums längst nicht ausreichten.
Und: "Etliche Lehrkräfte haben Probleme, bei den geschlossenen Kitas ihre eigenen Kinder zu betreuen, sollen aber nun die Abschlussjahrgänge unterrichten. Es wäre hilfreich, den ,systemrelevanten Status' auch auf die betroffenen Lehrkräfte auszuweiten."
Was die GEW außerdem feststellt: "Es gibt Unterschiede in der hygienischen Versorgung im Schulamtsbereich." Der Landkreis Limburg-Weilburg stelle allen Schülern und Lehrern Schutzmasken zur Verfügung und wolle sie verteilen. "Obwohl das Bemühen des Schulträgers sehr groß ist und die Situation jeder einzelnen Schule in den Blick genommen wird, gelingt das für den Lahn-Dill-Kreis leider nicht - und es müssen hier andere Lösungen gefunden werden, zumeist angestoßen durch die Schulen selbst und mit Hilfe der Elternschaft."
Was sagt der Kreis-Elternbeirat?
Der Vorsitzende des Kreis-Elternbeirats, Holger Pagels, hat ganz viele Fragen und sagt: "Ich weiß nicht, ob man die Antworten bis Montag findet." Seine Fragen: "Wenn Politiker es im Alltag, wie beim Besuch der Uniklinik Gießen, nicht schaffen, die Abstandsregeln einzuhalten, wie sollen es dann die Schüler schaffen? Sind die Schulen überhaupt in der Lage, die Hygienemaßnahmen einzuhalten? Wie sieht die regelmäßige Desinfektion der Türklinken aus? Wie steht es um die Hygiene auf den Toiletten? Kann die Abstandsregelung in den Schulbussen eingehalten werden? Wieso sollen zehn bis 15 Schüler in einem Klassenraum unterrichtet werden, wenn gleichzeitig in Geschäften die Regelung gilt, ein Kunde pro 20 Quadratmeter?"
Unklar sei auch, wie Schüler aus Risikogruppen gleichzeitig daheim beschult würden. Nur Arbeitsblätter seien da zu wenig; im Unterricht passiere ja mehr.
Er stelle sich zudem die Frage, so Pagels, ob Viertklässler jetzt in die Schule gehen sollten. Es seien keine Abschlussklassen. Und über die weitere Schulform ab dem fünften Schuljahr entschieden letztlich sowieso die Eltern. Außerdem: "Muss man unbedingt an den Prüfungen für Haupt- und Realschüler festhalten? Es gab auch mal eine Zeit ohne solche Prüfungen." Und nun müsse man schauen, ob das Risiko noch im Verhältnis zum Gewinn stehe.
Auch er kritisiert: Die Elternvertretung sei in der jetzigen Situation "vom Schulamt und vom Schulträger in keinster Weise gehört worden, um ein Meinungsbild abzufragen". Bei der Landtagswahl seien die Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen worden. Bei Entscheidungen, die sie betreffen, müssten also auch ihre Wünsche hinzugezogen werden. Holger Pagels: "Sie werden hier aber nicht gefragt."
Dirk Fredl, Sprecher des für den Lahn-Dill-Kreis zuständigen Staatlichen Schulamtes Weilburg: „Für Schüler, die zu einer Risikogruppe gehören, gibt es keine Präsenzpflicht.“ Archivfoto: Manuela Jung